Das Unvermeidliche

Seit fast mehr als 4 Monaten bin ich jetzt zurück aus Costa Rica und erst jetzt konnte ich mich überwinden, alles was in den letzten Wochen vor meiner Abreise passiert ist, revue passieren zu lassen und darüber zu schreiben. Es fällt mir heute immer noch schwer darüber zu sprechen und sogar darüber nachzudenken tut unendlich weh.

Ein paar Wochen vor meiner Abreise verabredete ich mich mit einem Freund, da ich mit ihm und seiner Tante costarikanisch essen wollte. Als wir an unserem vermeintlichen Treffpunkt ankamen, war niemand da. Auf einmal spragen alle meine besten Freunde hinter einer Mauer hervor. Eine Überraschungsparty! Für mich! Ich war so gerührt, dass es mir Tränen hervorrufte. Wir grillten, redeten und genoßen die Zeit zusammen. Kurz vor dem Ende musste jeder einmal aufstehen und mir ein paar Sätze widmen. Es ging um meine Zeit mit ihnen, wie sehr sie mich in ihre Herzen geschlossen haben und dass etwas in ihrer Gruppe fehlen wird, wenn ich weg bin. Die Wörter zeigten mir erst wie wichtig ich ihnen wirklich geworden bin. Vorher war ich nie wirklich sicher, ob ich für sie genau so ein Teil ihres Lebens geworden bin, wie sie alle für mich. Aber dieser Abend löschte jeden meiner Zweifel aus.

Die schlimmsten Tage waren aber die Tage vor meiner Abreise. Ich habe noch nie so viel am Stück geweint, wie ich es an diesem Wochenende tat. Am Freitag war mein letzter Schultag und ich lief um her, verteilte meine Abschiedsbriefe, verabschiedete mich von allen die ich kannte und weinte mit den anderen Austauschschülern zusammen pausenlos. Wir alle hatten danach verquollene Augen. Das schlimmste war die Überwindung aus der Schule zu gehen. Ich drehte mich noch einmal um, sah meine Freunde zum letzten Mal und weinte laut und schluchtzend bis nach Hause und selbst dann konnte ich nicht aufhören. Am Abend hatte ich aber die Abschiedsfeier von Taekwondo, also musste ich meine Augen kühlen, damit ich halbwegs normal dort hingehen konnte, um gleich wieder mit weinen anzufangen. Alle aus meiner Taekwondo-Gruppe erwarteten mich und wir aßen mein Lieblingsgericht „arroz con pollo“, machten Fotos und alle unterschrieben auf einer Costa Rica-Flagge für mich. Da ich auch an meine Taekwondo-Gruppe einen Abschiedsbrief geschrieben hatte, wurde er anschließend vor allen laut vorgelesen. Danach richtete mein Lehrer einige Worte an mich, die mich zutiefst ehrten. Er meinte, dass die bestehende Gruppe sonst nie Leute mit so einem hohen Gürtel, wie ich ihn hatte, so gut aufnahmen wie mich und dass es ein Verlust für die Akademie sei, dass ich gehe. Da er sonst immer wenig Gefühle zeigte, war ich einfach nur erstaunt und fühlte eine so große Verbundenheit mit diesen Leuten, dass es mir den Rest gab und ich in Tränen ausbrach. Beim Verabschieden wurde es nur noch schlimmer und ich musste schon wieder mit verquollenen Augen nach Hause.
Am Samstag hatte ich ein letztes Mal Training, aber es waren bei weitem nicht so viele anwesend, als am Abend davor. Als sie alle hinterher sich am Umziehen waren, verbeugte ich mich vor dem Raum, umarmte meinen Lehrer, der mir in einem Jahr so viel beigebracht hat und brachte meinen besten Freund nach Hause. Und auch hier liefen mir wieder die Tränen, als ich ihn von mir weggehen sah. Am Abend dann war endlich die ersehnte Abschiedsparty der Schule, die ein paar Klassenkameradinnen der Italienerin für uns drei Austauschschüler organisiert hatten. Sie hatten eine „finka“, also sprich ein Haus, gemietet, mit Dj und es gab Essen und ein wenig Alkohol. Wir machten die Nacht durch und ich kahm total erschöpft morgens um 9 nach Hause und schlief den Rest des Tages.
Da ich mich nicht richtig von meinem Freund dem Schweden verabschieden konnte, wollte ich ihn am Sonntag Abend nochmal besuchen gehen, aber ahnte nicht in was für eine Feier ich reinplatzte. Schon von Weitem hörte ich Musik und als ich reinkam, sah ich ihn in Mitten seiner Familie stehen, tanzend, weinend und singend gleichzeitig. Als er mich erblickte, kam er auf mich zu und wir umarmten uns und weinten und sagten uns in einer Minuten zwischen schluchtzen und weiter weinen, wie sehr wir uns mochten und dass wir uns niemals vergessen würden.
Da ich auch einer Freundin vom Taekwondo versprochen hatte nochmal bei ihr vorbeizuschauen, tat ich das bei der Gelegenheit. Doch schon als ich sie sah liefen mir schon wieder die Tränen das Gesicht herunter. Ihre Familie hatte vor Jahren auch mal einen Austauschschüler aufgenommen und waren die liebsten Menschen, die ich seit langem getroffen hatte. Immer als ich vorbeigekommen war, haben sie viel Interesse an mir, meiner Kultur und meinen Erfahrungen im Ausland gezeigt und ich habe sie seit der ersten Minute in mein Herz geschlossen.

Montag war es dann soweit. Abschiednehmen von meiner Familie. Zuerst von meinen Gastschwestern und meinem Gastvater, da sie im Laden arbeiten mussten und mich nicht zum Flughafen begleiten konnten. Mein Vater weinte, meine Schwestern weinten, ich weinte und wir schlossen uns in die Arme. Die ganze Autofahrt über fühlte ich mich wie gelähmt. Ich starrte aus dem Fenster und dachte an garnichts. Meine Mutter, mein Bruder, mein verrückter, liebenswürdiger Onkel, meine Tante und meine ASF-Kontaktperson, ließen mich soweit es ging in Ruhe, da sie merkten wie schlecht es mir ging. Wir hielten am Smoothie-Stand und ich trank meinen letzten „batido“, bevor es weiter zum Flughafen ging. Gepäck aufgeben ging schnell und schon war der meist gefürchtete aber unumgänglicher Augenblick erreicht. Das endgültige Verabschieden dieser Familie, dieses Landes und all das was ich zurücklassen würde, was ich so sehr liebe. Zuerst umarmte ich meine Kontaktperson. Immer wieder flüsterte ich ihr ins Ohr:“Ich kann nicht, ich kann nicht. Ich kann einfach nicht!“ Ich hatte in diesem Moment so ein Bedürfnis einfach nur weg zulaufen. Weg von dieser Situation, weg vom Flughafen und weg von dem aller schwierigsten Schritt meines Lebens. Dieses Gefühl, dieser Schmerz war schlimmer als jede Wunde, jede Verletzung und jede Traurigkeit, die ich je gespürt hatte. Ich umarmte alle nacheinander, aber als letztes meine liebe, tolle Mutter. Da wir uns nie wirklich umarmt hatten, war dies einer der schönsten, aber auch der traurigsten Momente in meinem Leben. Als es dann an der Zeit war zu gehen, setzte ich widerwillig einen Fuß vor den anderen, zwang mich zum Weitergehen und blickte auf meine weinende Mutter zurück. Seit diesem Augenblick, weinte ich den Rest des Tages fast ununterbrochen. Ich ging durch die Kontrolle und konnte mich nicht beherschen und weinte, schluchzte. Mir war in diesem Moment alles andere egal. Ich lies meinem Schmerz freien Lauf und er breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Nachdem auch meine beste Freundin Sara, die Italienerin, durch den Check-In kam, fielen wir uns in die Arme und heulten gemeinsam. Der lange Flug stand uns bevor und ich las das Heft durch, in das alle die ich kannte für mich etwas reingeschrieben hatten. Bei jeder Seite weinte ich aufs Neue los und einige Dinge, die mir Personen in diesem kleinen Brief gestanden, rührten mich zutiefst. Den Rest des Fluges verbrachte ich damit zu schlafen und Filme zu schauen.
Als wir dann endlich in Madrid landeten, stand mir ein 5-stündiger Aufenthalt bevor, den ich hauptsächlich alleine verbringen musste, da ich die einzige war, die von dort aus nach Berlin flog. Da ich mich nicht aufs Lesen konzentrieren konnte und auch nicht schlafen konnte, schaltete ich meinen Laptop ein und schaute mir nochmals alle Fotos meines Auslandsjahres an und natürlich liefen wieder Tränen.
Dann ging es endlich weiter und als ich in Berlin landete, realisierte ich erstmals, dass das nun der endgültige Schluss war. Ich war gelandet. In meiner alten Heimat, die ich nicht mehr so empfand wie früher. Ich fiel meiner Mutter und meiner Schwester um den Hals und weinte. Natürlich weil ich sie vermisst hatte, aber größtenteils, weil ich nun ein für alle mal Costa Rica hinter mir gelassen hatte. Wir gingen also auf den Ausgang zu und dort stand plötzlich meine beste Freundin. Ich bracht in Tränen aus und wir fielen uns in die Arme. Ich hatte sie so sehr vermisst! Ich hatte nämlich all meinen Freunden erzählt, dass ich eine Woche später zurückkommen würde, um sie überraschen zu können, doch meine beste Freundin hatte das Foto gesehen, dass meine Mutter auf Facebook gepostet hatte, auf dem wir am Flughafen standen. Also wurde es zu einer Überraschung für mich.Im Auto bekam ich eine Sprachnachricht meiner Gastmutter, in der sie schluchzend fragte wie es mir gehte. Dies war das letzte mal, dass ich an diesem langen Wochenede weinte. Den Rest der Autofahrt über starrte mich meine beste Freundin an und als ich sie danach fragte, meinte sie, dass es so ungewohnt sei, mich bei ihr zu haben.

Am nächsten Morgen vergaß ich meine Trauer und versuchte mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Es war herrlich Zeit mit meiner besten Freundin zu verbringen und wir hatten die langen Ferien vor uns, um uns wieder neu „kennen zu lernen“.
Da meine anderen Freunde noch nichts von meiner Ankunft wussten, überraschte ich sie am Flughafen, da sie gerade von ihrer Kursfahrt zurückkamen. Es war ein durcheinander und sie waren natürlich mehr als überrascht. Am nächsten Tag lud ich dann alle zu mir nach Hause ein, kochte „arroz con pollo“ und zeigte Fotos aus Costa Rica.
Eine Woche später fuhren ich und meine beste Freundin dann los. Wir fuhren nach Aachen und gingen mit meiner Familie und Freunden wandern und genossen jede Sekunde zusammen. Ich habe die ganzen Sommerferien nicht einmal in meinem Bett alleine geschlafen. Wenn meine beste Freundin nicht bei mir geschlafen hat, schlief meine Schwester bei mir und zu meine riesigen Freunde, kam mich schon in den letzten beiden Wochen Sara besuchen. Wir vebrachten ein großartige Zeit zusammen. Ich zeigte ihr Berlin, wir redeten viel über Costa Rica und dachten nicht an ihre baldige Abreise. Doch diese kam viel zu schnell näher und als wir uns verabschiedet hatten, rief ich schluchzend meine beste Freundin an und heulte am Telefon die ganze Zeit. Es war der Zeitpunkt, an dem ich merkte, dass es jetzt endgültig vorbei war. Ich würde am kommenden Montag in meinen Alltag zurückkehren und nichts würde sich von vor einem Jahr geändert haben…

Und seit ich wieder in der Schule bin vergeht sie Zeit wie im Rausch. Ich kann nicht fassen, dass schon 4 Monate(!) vergangen sind, seit meiner Rückkehr. Die meiste Zeit lebe ich einfach nur dahin und fühle gar nichts, aber in manchen Momenten kommt die Traurigkeit und das Heimweh nach meiner „2. Heimat“ hoch und mir laufen die Tränen übers Gesicht. Es gibt nicht einen Tag, an dem ich nicht an Costa Rica denke und an den ersehnte Tag, an dem ich endlich wieder dort hin zurückkehren kann und vielleicht plane ich ja sogar Costa Rica langfristig in meine Zukunft ein, denn das Gefühl, dass ich dort empfunden habe, empfinde ich hier in Deutschland nicht. Es ist ein Gefühl der Liebe zu einem Land und zu den Menschen in einem Land. Ein Gefühl der Geborgenheit und der Zufriedenheit………